Natur- und sozialwissenschaftliche Analysen anthropogen bedingter Mortalitätsfaktoren und deren Einfluss auf die Überlebenswahrscheinlichkeit des Luchses (Lynx lynx)

Autor/innen

  • Micha Herdtfelder

DOI:

https://doi.org/10.26251/jhgfn.170.2014.335-367

Schlagworte:

Luchs, Lynx lynx, Mortalitätsfaktoren, Überlebenswahrscheinlichkeit, Baden-Württemberg.

Abstract

Die Rückkehr Großer Beutegreifer in die dicht besiedelte Kulturlandschaft Mitteleuropas stellt eine große Herausforderung für das Wildtier-Management dar. Vor allem beim Aufbau neuer Populationen über Zuwanderung oder aktive Wiederansiedelung spielen anthropogen bedingte Mortalitätsfaktoren, wie z. B. Wildunfälle oder illegale Abschüsse, eine große Rolle.

In dieser interdisziplinär angelegten Arbeit wurde untersucht, welches die Schlüsselfaktoren für ein langfristig erfolgreiches Management des Luchses (Lynx lynx) in der Kulturlandschaft Mitteleuropas sind. Naturwissenschaftliche Analysen wurden am Beispiel des Luchserwartungslandes Baden-Württemberg (BW) und der grenznahen Luchspopulation im Schweizer Jura durchgeführt. Sozialwissenschaftliche Analysen bezogen sich auf ganz Deutschland. Durch eine logistische Regression von Telemetriedaten von Luchsen sowie von Daten über Verkehrskollisionen aus der Schweiz und die Übertragung der Ergebnisse auf BW wurde die Eignung von BW als Luchslebensraum nachgewiesen. Aufbauend auf diesen erarbeiteten Grundlagen wurde anhand eines Populationsmodells für BW die Wahrscheinlichkeit einer Besiedlung durch natürliche Zuwanderung unter verschiedenen Annahmen der illegalen Mortalität von Luchsen simuliert. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich durch natürliche Zuwanderung aus dem Schweizer Jura in den nächsten 50 Jahren eine Population in BW etabliert, lag unter der Annahme einer moderaten illegalen Mortalität bei 36%. Unter der Annahme einer vierfach erhöhten illegalen Mortalität lag sie bei 1,5%. In weiteren Szenarien wurde für eine potentiell etablierte Population in BW untersucht, wie sich die Reduktion der illegalen Mortalität um den Faktor 0,5 auf die Überlebensfähigkeit der Population auswirkt. Es zeigten sich signifikante Unterschiede in Abhängigkeit der Raumkulisse, auf der die Reduktion stattfand. Die höchste Überlebensrate wurde bei Reduktion der illegalen Mortalität in Regionen erreicht, die eine besonders hohe Habitateignung aufwiesen bzw. häufig von Modell-Luchsen frequentiert wurden.

Für die sozialwissenschaftliche Analyse der Hintergründe für illegale Abschüsse von Luchsen durch einzelne Jäger in Deutschland wurde auf ein Erklärungsmodell aus der Rechtssoziologie zurückgegriffen, welches die Bereitschaft zu illegalen Handlungen in Abhängigkeit von verschiedenen handlungsrelevanten Variablen prognostiziert. Die postulierten Zusammenhänge wurden unter Berücksichtigung der Theorie des rationalen Handelns auf den Fall des illegalen Abschusses eines Luchses auf Plausibilität geprüft und das Modell durch zusätzliche Variablen ergänzt, welche den Erklärungsgehalt des Modells erhöhten. Grundlage hierfür lieferten eine zielorientierte Literaturanalyse und Presserecherchen sowie eigene Beobachtungen des Autors aus der Zusammenarbeit mit den betroffenen Akteuren aus Jagd, Landwirtschaft und Naturschutz. Anhand der Analyse konnte ein komplexes Wirkungsgefüge von Faktoren definiert werden, welche die Bereitschaft zu illegalen Abschüssen beeinflussen. Als besonders relevant für eine mögliche Reduktion der Bereitschaft zu illegalen Abschüssen wurden sog. Entwicklungsvariablen identifiziert.

Die Zusammenführung der natur- und sozialwissenschaftlichen Analysen zeigte die hohe Relevanz des gewählten interdisziplinären Forschungsansatzes für die Sicherung der Überlebensfähigkeit einer Luchspopulation auf. Einerseits kann auf Grundlage der Habitateignung und des Populationsmodells die Priorisierung von Flächen vorgenommen werden, welche für die Überlebensfähigkeit der Luchse von besonderer Relevanz sind. Andererseits können anhand der Entwicklungsvariablen konkrete Maßnahmen definiert werden, durch welche die Bereitschaft zum illegalen Abschuss wesentlich reduziert werden kann. Dadurch ist eine ökologische und ökonomische Optimierung des Luchsmanagement möglich, die auch im Vorfeld einer aktiven Wiederansiedlung von Bedeutung ist, um die Chance auf Erfolg der Ansiedlung zu erhöhen.

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Veröffentlicht

2014-12-15