Langzeitpopulationsdynamik des Siebenschläfers Myoxus glis in Baden-Württemberg – Ein Kleinsäuger als Gewinner der heutigen Waldwirtschaft und des gesellschaftlichen Wandels
Aus dem Ökologischen Lehrrevier der Forstverwaltung Baden-Württemberg
DOI:
https://doi.org/10.26251/jhgfn.157.2001.181-210Schlagworte:
Siebenschläfer, Myoxus glis, Langzeitdynamik, jährliche Bestandsschwankungen, Wald, Konkurrenz, Prädation, Nistkastenpopulation, Baden-Württemberg, Germany, gesellschaftlicher WandelAbstract
In Wäldern Baden-Württembergs wurden seit 50 Jahren im Herbst jährlich bis zu 180.000 Nistkästen kontrolliert. Siebenschläfer wurden dabei regelmäßig und zunehmend häufiger angetroffen. Bis 1980 belegte diese Art weit unter 10 % der Kästen. In den 80er Jahren nahm die Besetzungsrate deutlich zu, im Wald der Forstdirektion (FD) Stuttgart auf im Mittel 20 %, auf 15 % im Bereich der FD Karlsruhe. Die jährliche Fluktuation ist groß, Bestandsmaxima in Nistkästen treten alle 2 bis 3 Jahre in Reproduktionsjahren auf. Eine grobe Klassifikation nach überwiegenden Laub-, Misch- und Nadelwaldregionen läßt dabei keine prinzipiellen Unterschiede erkennen. Kulminationsjahre traten in allen Wuchsgebieten forstlicher Klassifizierung weitgehend gleichzeitig auf. Die unterschiedliche Nistkastendichte dürfte für quantitative Unterschiede mit ausschlaggebend sein.
Die aus unseren Nistkastenbesetzungen abgeschätzten großräumigen Bestandsdichten sind klein im Vergleich zu Werten anderer Untersuchungen von Nistkastenpopulationen in Deutschland. Es zeichnet sich ab, dass der Siebenschläferbestand durch Aufhängen von Nistkästen gefördert wird.
Mit der Zunahme ging der Anteil Besetzungen leerer Kästen zurück. Während 1982 noch 60 % der Nisthöhlen vor dem Einzug der Siebenschläfer leer waren, nahm dieser Anteil 1996 auf 37 % ab. Die bevorzugte Nutzung leerer Nistkästen wird als eine Reaktion auf das Abwehrverhalten anderer Bewohner gesehen.
Die jährlichen Bestandsänderungen sind überwiegend durch das Nahrungsangebot erklärbar. Ein Ausfall der Buchen- und/oder Eichenmast bewirkte einen weitgehenden Reproduktionsausfall. Indirekte Beobachtungen deuten dann auf ein teilweises Abwandern der verbliebenen Siebenschläfer in junge Waldbestände hin.
In neuerer Zeit belegte der Siebenschläfer lokal 70–80 % der Kästen in schlechten Vermehrungsjahren und weit über 90 % in guten. Mit der bisher als ausreichend erachteten Feststellung der Besetzung, ohne Registrierung der Individuenzahl, kann die Bestandsdynamik dort nur noch unvollständig verfolgt werden.
Die Eutrophierung der Böden, die Hochwaldwirtschaft mit einem seit 50 Jahren steigenden durchschnittlichen Bestandsalter der Wälder, zunehmender Vegetationsmasse und einem aus diesen Ursachen resultierenden steigenden Waldsamenangebot, speziell bei Buche und Eiche, wird als bestimmend für die Populationsentwicklung der letzten Jahrzehnte angesehen. Ohne Prädation und anthropogene Verfolgung wäre wohl eine kontinuierliche Zunahme der Siebenschläfer zu erwarten gewesen. Die Tötung der in den Nistkästen vorgefundenen Bilche bis mindestens in die 2. Hälfte der 1970er Jahre dürfte ein entscheidender Faktor für den zeitlichen Verlauf der Entwicklung in den Nistkästen gewesen sein. Ein kompliziertes Gefüge der langfristigen Populationsentwicklung der Marder unter Einbeziehung von derjenigen des Fuchses greift zusätzlich in diese Abläufe ein.
All diese Ursachen sind Folgen des grundlegenden Wandels unserer Gesellschaft und von ihrer Einstellung zur Natur. Dieses Beispiel zeigt, wie komplex die ökologischen Zusammenhänge sind, die nur allzu oft monokausal erklärt werden.
Für einige Begleitarten des Siebenschläfers, wie die Haselmaus (Muscardinus avellanarius), verschiedene Vogel- und Insekten, speziell soziale Wespenarten, kann sich seine Zunahme negativ auswirken.
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