Abfolge und Alter der Neckar-Terrassen und Travertine in Stuttgart (Cannstatter Becken und Nesenbachtal)

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DOI:

https://doi.org/10.26251/jhgfn.178.2022.253-324

Schlagworte:

Flussterrassen, Terrassenschotter, Stuttgarter Travertin, Stuttgarter Mineralwasser

Abstract

Im Stuttgarter Neckartal (Cannstatter Becken) und Nesenbachtal (mit Stuttgarter Talkessel) wurde während mehrerer Warmzeiten des Quartärs aus kohlensäurehaltigen Quellen des Stuttgarter Mineralwassersystems Travertin abgeschieden. Wegen seiner leichten Bearbeitbarkeit, seiner guten Verwitterungsbeständigkeit sowie seiner charakteristischen Maserung in Gelb-Braun-Tönen wurde dieser seit Beginn des 19. Jahrhunderts als gesuchter Werkstein abgebaut. Mit ihrem umfangreichen und vielschichtigen Fossil-Fundgut stellen die Stuttgarter Travertine in paläontologischer, paläoökologischer und paläoklimatischer Sicht ein wertvolles Archiv für das Quartär Südwestdeutschlands dar.

Die Travertine überdecken Schotter und Hochflutlehme auf Terrassen des Neckars. Durch zahlreiche Bohrungen konnte das bislang aus Aufschlussbeschreibungen gewonnene Grobgerüst der räumlichen und vertikalen Verteilung dieser Terrassensedimente deutlich verbessert werden. Getrennt in sieben Teilgebiete werden die Schotter- und Travertinablagerungen im Detail beschrieben und in Karten sowie Schnitten nach Lage und Höhe der jeweiligen Sohlflächen dargestellt. Die ausgewiesenen Schotterkörper werden einer aus neun Eintiefungsphasen aufgebauten Terrassentreppe mit Terrassenniveaus bei 45 m (T 7), 27–28 m (T 8), 22–25 m (T 9a), 20–21 m (T 9b), 17–19 m (T 9c), 14–16 m (T 9), 10–12 m (T 10), 4–7 m (T 11) und 0–2 m (T 12) über der heutigen Aue zugeordnet. Ihr Alter stützt sich auf die für den mittleren Neckarraum erarbeitete Chronologie der Neckarterrassen, die mit Zeitmarken aus dem Cannstatter Becken gegengeprüft wird. Danach decken T 8 bis T 9c den Cromer-Komplex ab, T 9 entspricht der Hosskirch-Kaltzeit und T 10 bis T 12 der dreigeteilten Riss-Kaltzeit. Die tiefste Felssohle (T 13) wurde in der Würm-Kaltzeit erreicht. Es gibt Anzeichen dafür, dass im Cannstatter Neckartal – ähnlich wie in den Unterläufen von Neckar und Main – Talverschüttungssedimente in großer Mächtigkeit abgelagert wurden. Sie reichen hier bis zur Hosskirch-Terrasse T 9.

Die warmzeitliche Travertinabscheidung ist ab T 9a auf allen tieferen Terrassenniveaus vertreten. Die Zeitskala des Travertinwachstums reicht daher von Warmzeiten des jüngeren Cromers bis in das Holozän. Der mächtige Travertin im Lauster-Bruch, der auf der durch Subrosion verstellten T 9-Terrasse (Hosskirch) sitzt, schließt wahrscheinlich durch einen Hiatus getrennte Travertine auf, die während der Warmzeiten der Marinen Isotopenstufen (MIS) 11 (Holstein) und 9 entstanden. Für die Travertine auf T 11 (Katzensteigle) wird aufgrund von TIMS-230Th/U-Datierungen am gleich hoch liegenden Travertin im Nesenbachtal erstmals ein MIS 7-Alter postuliert. Die auf T 12-Schottern (Jung-Riss) sitzenden Seelberg- und Biedermann-Travertine sind erst im Anschluss an das Eem (MIS 5e)während des St. Germain I (Früh-Würm) entstanden. Ob der frühwürmzeitlichen Travertinbildungsphase noch eine eemzeitliche vorausging, die in der Basis der Travertine steckt, bleibt offen.

Im Nesenbachtal und im Cannstatter Becken ist von einer zeitgleichen Travertinbildung auszugehen. Älteste Travertine im Nesenbachtal könnten mit solchen des Niveaus 9a im Cannstatter Becken korrespondieren und haben somit früh-mittelpleistozänes (cromerzeitliches) Alter. Auf tieferen Verebnungen im Nesenbachtal, die auf Terrassen im Neckartal ausgerichtet sind, treten Travertine mit mittelpleistozänem (MIS 7), jungpleistozänem und holozänem Alter auf.

Veröffentlicht

2022-12-15